Kalifornisches Bankenbeben
Marktausblick von Dr. Martin Lück
14. März 2023
Dass der sonnige Westküstenstaat auf der St. Andreas-Spalte liegt und damit akut erdbebengefährdet ist, dürfte hinlänglich bekannt sein. Seit letztem Donnerstag ist es hingegen ein veritables Bankenbeben, das von Kalifornien, genauer: von Santa Clara im Herzen des Silicon Valley, ausgeht. Was war passiert? Die Silicon Valley Bank (SVB), immerhin die sechzehntgrößte US-Bank und seit ihrer Gründung 1983 eng mit dem Technologiesektor der Region verbunden, war am Freitag geschlossen und unter Verwaltung der Einlagensicherungsbehörde FDIC gestellt worden. Dies alles, nachdem es ihr nicht gelungen war, mit der Einwerbung neuen Kapitals den 1,8 Mrd. Dollar großen Verlust aus Anleiheverkäufen auszugleichen und der Aktienkurs bereits am Donnerstag um 60% gefallen war. Als daraufhin Einlagekunden binnen kürzester Zeit über 42 Mrd. Dollar, rund ein Viertel der gesamten Passivseite, abzogen und die SVB gezwungen gewesen wäre, einen großen Teil ihres bis dato nicht zu Marktpreisen bewerteten langfristigen Anleiheportfolios (des sogenannten Hold-to-Maturity Portfolios) zu verkaufen, um diese Einlagen auszuzahlen, war das Ende des Instituts besiegelt.
Die Frage ist jetzt, wie so etwas passieren konnte. Und, noch viel wichtiger, was es für den Finanzsektor als Ganzes bedeutet. Droht eine neue globale Finanzkrise? Um die Antwort auf die drängende letztere Frage vorwegzunehmen: eigentlich nicht. Aber wir wissen, dass genau dieses eine Wort – eigentlich – schon oft durch die Realität widerlegt worden ist. Also der Reihe nach. Passieren konnte die SVB-Krise, weil die Bank vor allem in den Pandemiejahren 2020 und 21, als Fed und Treasury die Zinsen auf null drückten und gigantische Liquiditätsmengen in die US-Wirtschaft pumpten, mit Einlagen ihrer wichtigsten Kunden geradezu überschwemmt wurde. Diese Kunden, oft Venture Capital-finanzierte Tech-Firmen, verfügten nämlich bereits über hohe Cash-Bestände, nahmen aber die Fed-Subventionen gern mit, wodurch sich die Einlagen bei der SVB im Zeitraum 2019-21 rund verdreifachten. Anstatt diesen enormen Einlagenzufluss in möglicherweise überriskante Kredite zu investieren (die zudem der überwiegende Teil ihrer Tech-Kunden gar nicht brauchte), investierte die Bank die Einlagen in länger laufende Staatsanleihen, Pfandbriefe und andere vermeintlich sichere Anlagen. Als aber infolge der restriktiveren Fed-Geldpolitik der Zustrom an Liquidität abzuebben begann und zudem Tech-Unternehmen Einlagen abzogen, um sie woanders ertragreicher unterzubringen, sah sich die SVB gezwungen, Anleihen zu verkaufen - wegen der stark gestiegenen Zinsen mit erheblichen Kursverlusten. Nach den massiven Einlageabflüssen der letzten Woche hätten die kürzer laufenden und jederzeit verkäuflichen Anleihen (sogenannte Available-for-Sale Anleihen) nicht mehr ausgereicht, um Kunden auszahlen zu können. Verkäufe aus dem Hold-to-Maturity Portfolio aber hätten eine Neubewertung (mark-to-market) dieses Portfolios bedeutet. Genau dies hat den Untergang des Instituts ausgelöst.
In den Erklärungsgründen für die SVB-Pleite liegen also auch erste Antworten auf die Frage, ob dies der Auslöser einer neuen globalen Finanzkrise sein könnte. Und die wahrscheinliche Antwort, das ‚eigentlich nicht‘, begründet sich zum ersten in den Besonderheiten der SVB-Bilanz. So lag der Anteil „typischer“ Kundeneinlagen, also solcher von Haushalten und eher kleinen Firmen, bei weniger als 10% der Bilanzsumme, verglichen mit Größenordnungen über 40% bei anderen US-Banken und noch höheren Quoten in Europa. Zweitens betrug der Anteil des mit einer Duration von im Schnitt fast 6,5 Jahren sehr langfristig investierten Hold-to-Maturity Portfolios bei SVB über 80%, was extrem viel ist. Andere US-Großbanken kommen maximal auf Werte um 50%, für europäische Institute ist 30% schon ein hoher Wert. Und schließlich, drittens, galten für die SVB keine Liquiditätsdeckungsanforderungen, wie sie etwa im Rahmen des Basel III-Regulierungswerkes für europäische Banken gelten. Dies mag angesichts der Größe der Bank überraschen und führt zur Schlussfolgerung, dass große regionale US-Banken, die ebenfalls derartigen Liquiditätsanforderungen (Liquidity Coverage Ratio – LCR) nicht unterliegen, unter Druck geraten könnten. Dies war im Gefolge der SVB-Kernschmelze bereits bei der in New York beheimateten und inzwischen geschlossenen Signature Bank, zu Wochenbeginn auch bei der First Republic-Bank in San Francisco zu beobachten. Anders stellt sich die Situation für europäische Banken dar, deren Bilanzstruktur anders und deren regulatorische Absicherung besser sein dürfte.
Warum also ist die Gefahr einer systemischen Krise nur ‚eigentlich‘ gering? Die Antwort liegt in dem Asset, mit dem Banken handeln: Vertrauen. Wenn dieses Vertrauen schwindet und Anleger schlagartig die Liquidität abziehen, die sie Banken in verschiedensten Formen zur Verfügung gestellt haben, sind Ansteckungseffekte nie ganz auszuschließen. Der massive Kursrutsch bei europäischen Bankaktien infolge der SVB-Krise verdeutlicht diese Anfälligkeit.